Urteile in der Kinder- und Jugendhilfe

Rechtsprechung zu ombudschaftlich relevanten Themen

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09/2021: Erfolgreiche Verfassungs¬beschwerde im Zusammenhang mit der Unterbringung in einer kinder- und jugend¬psychiatrischen Einrichtung

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einer Verfassungs­beschwerde stattgegeben, der fachgerichtliche Verfahren zu Grunde lagen, in denen der damals fünfzehnjährige Beschwerdeführer erfolglos die Feststellung begehrte, seine Unterbringung in einer kinder- und jugend-psychiatrischen Einrichtung sei rechtswidrig gewesen. Der Beschwerdeführer hatte während seiner Unterbringung erklärt, dass er eine zu diesem Zeitpunkt verhandelte Beschwerde auf die Änderung des Klinikortes beschränken wollte. Mehrere Umstände, die darauf hindeuten, dass er damit nicht die Unterbringung insgesamt „akzeptieren“ wollte, ließ das Oberlandesgericht später unberücksichtigt. Mit dieser Würdigung verkürzte es das Recht auf effektiven Rechtsschutz.

 

Das Urteil finden finden Sie hier.

12/2020: BVerwG bestätigt - Durchschnittseinkommen des Vorjahres maßgeblich für Kostenheranziehung junger Menschen

Junge Menschen, die vollstationäre Jugendhilfeleistungen erhalten, müssen einen Teil ihres Einkommens als Kostenbeitrag an das Jugendamt abgeben.

Bei der Berechnung des Kostenbeitrags ist gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres ausschlaggebend.

Dies haben verschiedene Gerichte und das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigt.

 

Urteil BVerwG in Leipzig vom 11.12.2020

Urteil BayVGH in München vom 25.09.2019

Urteil OVG Sachsen vom 09.05.2019

Urteil VG Hannover vom 14.12.2018

Urteil VG Cottbus vom 03.02.2017

Urteil VG Arnsberg vom 15.11.2016

Urteil VG Berlin vom 15.03.2015

 

Hier finden Sie ausführliche Informationen zum Thema Kostenheranziehung junger Menschen, u.a. eine Infobroschüre, Musterschreiben zum Download, einen Kostenbeitragsrechner und ein Rechtsgutachten.

12/2017: Überblick über Rechtsprechung im Kinder- und Jugendhilferecht 2017

Einen Überblick über wesentliche Gesetzesänderungen, die Entwicklung von Rechtsprechung und Literatur im Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) im Jahr 2017 findet sich hier:

Winkler, Jürgen (2018): NZS-Jahresrevue 2017: Kinder- und Jugendhilfe. In: Neue Zeitschrift für Sozialrecht, 27. Jg., Heft 5, S. 161-168.

NZS_Winkler_Overall_Kinder- und Jugendhilfe_2017

12/2016: Beschluss des VG Freiburg – Bei Kenntnis von Bedarf müssen alle in Frage kommenden Rechtsgrundlagen geprüft werden

Das Jugendamt hat, wenn es Kenntnis von einem Bedarf erhält, grundsätzlich alle in Frage kommenden Rechtsgrundlagen zu prüfen. Dabei ist es unerheblich, ob ein förmlicher Antrag vorliegt bzw. auf welche Rechtsgrundlage sich dieser bezieht. Den diesbezüglichen Beschluss des VG Freiburg finden Sie hier.

Die Vormundin eines 15jährigen Pflegekindes hatte einen Antrag auf sozialpädagogisch begleitete Ausbildung nach § 13 (2) SGB VIII gestellt. Dieser Antrag wurde vom Jugendamt mit Verweis auf § 35a SGB VIII und § 14 SGB IX an die Arbeitsagentur weitergeleitet. Das Gericht wertet den Antrag als Annexleistung zum Pflegeverhältnis nach § 33 SGB VIII und verpflichtet den öffentlichen Jugendhilfeträger per einstweiliger Anordnung zur Leistung.

„Dabei hängt das Handeln des Jugendhilfeträgers wohl auch insoweit nicht von der konkreten Formulierung des Antrags ab, dieser hat vielmehr, wenn er Kenntnis von einem Hilfebedarf erhält, diesen Bedarf unter allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu prüfen; dies gilt umso mehr, als die Gewährung jugendhilferechtlicher Leistungen zwar das – u.U. auch konkludent erteilte – Einverständnis des Personensorgeberechtigten, nicht aber einen förmlichen Antrag voraussetzt (Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl., § 27 Rn. 21, m.w.N.)“

Beschluss VG Freiburg 22.12.16

11/2014: Beschluss des OLG Nürnberg – Gebot, eine Jugendhilfeleistung außerhalb der Familie anzunehmen, ist geringerer Eingriff in Elternrecht als der Entzug von Teilbereichen elterlicher Sorge

Das Gebot, eine Jugendhilfeleistung außerhalb der Familie anzunehmen und nicht zu beeinträchtigen, solange vom Jugendamt keine andere Leistung angeboten wird, stellt im Vergleich zu dem Entzug wesentlicher Teilbereiche der elterlichen Sorge den geringeren Eingriff in das Elternrecht vor. Dieses Gebot kommt insbesondere in Betracht, wenn die Inhaber der elterlichen Sorge mit einer Trennung des Kindes von der Familie grundsätzlich einverstanden sind, aber die angebotene Leistung des Jugendamtes ablehnen. Die Auswahl der geeigneten Einrichtung erfolgt im Rahmen des Hilfeplans nach dem SGB VIII. Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind Sorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen.

Beschluss des OLG Nürnberg vom 17.11.2014

02/2014: VGH Baden-Württemberg – bei Inobhutnahme kein Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes für Eltern mit geringen Einkünften

Wenn Kinder oder Jugendliche vom Jugendamt in Obhut genommen werden, sind die Eltern grundsätzlich kostenbeitragspflichtig (§§ 90 bis 94 SGB VIII). Die Höhe des Kostenbeitrags hängt vom Einkommen ab. § 7 Kostenbeitragsverordnung regelt jedoch, dass bei bestimmten Leistungen stets ein Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes zu zahlen ist; auch unabhängig davon, ob das Kindergeld z. B. beim ALG II schon angerechnet wurde. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim hat nun entschieden, dass dieser Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes bei ALG II-Bezug oder anderen geringen Einkünften bei einer Inobhutnahme nicht zu zahlen ist. Denn der § 7 gilt, so die Begründung im Urteil, für „Leistungen“ nach dem SGB VIII, nicht aber für „Maßnahmen“, zu denen die Inobhutnahme gehört. Dies auch unabhängig davon, ob sich die Inobhutnahme über einen längeren Zeitraum erstreckt.

Urteil VGH Baden Württemberg 2014

07/2012: Beschluss des Bundesgerichtshofs – Geschlossene Unterbringung eines Kindes unzulässig, wenn andere Maßnahmen nicht aussichtslos bleiben.

Die Genehmigung der Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentzug verbunden ist (§ 1631 b BGB), ist unzulässig, solange insbesondere eine Heimerziehung in einer offenen Einrichtung nicht aussichtslos bleibt.

BGH-Beschluss vom 18.Juli 2012 – XII ZB 661/11

07/2011: Urteil des VG Stuttgart – Übernahme der Kosten für den Besuch eines privaten Gymnasiums bei ADHS durch das Jugendamt

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am 26.7.2011 den ablehnenden Bescheid und den Widerspruchsbescheid eines Jugendamtes aufgehoben. Das Jugendamt hatte dem am ADHS-Syndrom leidenden und zum Personenkreis des § 35a zählenden Schüler die Übernahme der Kosten eines privaten Gymnasiums verweigert. Das Gymnasium arbeitet nach einem besonderen Konzept gerade mit ADHS-Kindern. Das Gericht spricht sich für die Übernahme der Kosten aus und verpflichtet das Jugendamt neu zu entscheiden.

Urteil VG Stuttgart.pdf ››

12/2010: Beschluss des VG Berlin – Jugendamt muss vorerst Kosten für Schulhelfer übernehmen

Die Schulverwaltung lehnte den Antrag einer Schulleiterin ab, einem autistischen Kind 12 Wochenstunden zusätzliche Unterstützung durch einen Schulhelfer zu gewähren und empfahl einen Antrag auf Eingliederungshilfe beim Jugendamt. Dieses lehnte ab, mit der Begründung, dass Schulhelferstunden nicht als Kinder- und Jugendhilfe gewährt werden können, da es sich um eine rein schulorganisatorische Maßnahme handele.
Das VG Berlin entschied, dass das Jugendamt die Kosten zu übernehmen hat, wenn die Schulverwaltung einen nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen Schulhelferbedarf nicht deckt.

Pressemitteilung des VG Berlin

04/2009: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – Verwaltungsgericht Berlin bestätigt Übernahme der Kosten für eine durchgeführte Hilfe für junge Volljährige

Manchmal braucht es eine Klage trotz eindeutiger Leistungsverpflichtung!

Ein Berliner Jugendamt bewilligte eine Jugendhilfemaßnahme gemäß §§ 34, 41 SGB VIII für einen 19jährigen Mann. Dieser zog in einen eigenen Wohnraum und wurde betreut. Eine Zahlung der anfallenden Kosten an den freien Träger erfolgte durch das Jugendamt nicht, trotz unterzeichneter Kostenübernahme. Die Zuständigkeit wurde zwei Monate nach Beginn der Hilfe vom Jugendamt abgelehnt und an ein anderes, örtlich neu zuständiges Jugendamt verwiesen. Trotz wiederholten Hinweisen auf die Leistungsverpflichtung nach § 86 c SGB VIII wollte das Jugendamt nicht zahlen (§ 86c SGB VIII: “Wechselt die örtliche Zuständigkeit, so bleibt der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Der örtliche Träger, der von den Umständen Kenntnis erhält, die den Wechsel der Zuständigkeit begründen, hat den anderen davon unverzüglich zu unterrichten.”).

Inzwischen waren schon 3,5 Monate vergangen, in denen der freie Träger für die Betreuung des jungen Mannes in Vorleistung gegangen war. Mit Unterstützung seiner Betreuerin wandte sich der junge Mann nun an den BRJ. Mit unserer Hilfe wurde ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und innerhalb kürzester Zeit übernahm das Jugendamt die anfallenden Kosten und wurde die Zuständigkeit geregelt. Dieser Fall zeigt, dass es auch trotz eindeutiger Rechtslage manchmal einer Klage beim Verwaltungsgericht bedarf, um seine Rechte als junger Mensch durchzusetzen!

Beschluss vom 28.11.2008 Oberverwaltungsgericht Berlin

08/2007 – VG Berlin stärkt Jugendhilfe für junge Volljährige

Die Beschwerde eines Berliner Jugendamtes, die geeignete und notwendige Hilfe für eine junge Volljährige in Vollzeitpflege nicht über das 21.Lebensjahr hinaus fortzusetzen, wurde vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückgewiesen.

BeschlussVW.pdf ››